Nach der Schule begebe ich mich heute auf die Suche nach gutem Essen in meiner Nähe. Ich laufe und fahre viel hin und her, finde dann aber den besten Lammspieß den ich je hatte und gleich danach noch meinen neuen Lieblingskuchenshop. In der Moschee am Tajrish lege ich eine Pause von dem vielen Verkehr und den Abgasen ein. Eine Frau schenkt mir ein Päckchen mit Essen. Obwohl ich dem Platzen nahe bin, esse ich höflich auf, was die Damen die mich beobachten sichtlich freut.
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Kaum stehe ich am Straßenrand, hupt mich ein Kleinstwagen an (Willst du mitfahren?). Ich winke mit dem Finger in die Richtung in die ich möchte. "Salãm." "Salãm, Shariati?" (Hallo, fährst du zur Shariati Straße?) Der Fahrer nickt, ich steige ein. "Darbast?" (Sollen wir mit "geschlossenen Türen" fahren? Also keine weiteren Fahrgäste mitnehmen?) "Darbast na." (Nö, wir nehmen alle mit.) Es dauert nicht lange und wir sind zu fünft im Auto. Der Fahrer fragt mich: "Italia? India? America?" Ich: "Aleman, Germany." Der Fahrer dreht sich während der Fahrt nach hinten, High five ✋, "Germany goooood." Wir fahren an einem dicken BMW vorbei. "Gerrrrrrmany." Der Fahrer zeigt auf einen Toyota: "Japan." Er nimmt beide Hände vom Steuer und hält sie wie eine Waage. Er wackelt mit der einen Hand: "Toyota." Die andere Hand wackelt: "BMW." Erwartungsvoll schaut er mich an. Ich halte ein Hand vor die Brust: "Toyota." Die andere Hand halte ich über meinen Kopf: "BMW!" Wir lachen und es gibt noch einen High five ✋.
Beim Aussteigen wird der Fahrer ganz ernst: "Germany, I'm very, very happy." Nach der Schule bin ich auf der Suche nach der perfekten Lampe für mein Schlafzimmer. Auf dem Weg laufe ich an einer Familie vorbei, die zwischen zwei parkenden Autos ein Schaf an den Straßenrand gelegt hat. Die Beine sind zusammengebunden. Ein Mann schlitzt dem Schaf die Kehle auf, Blut läuft am Bordstein entlang. Die Umstehenden filmen mit ihren Handys und einem iPad. Ich finde keine passende Lampe, aber drei Läden, die IKEA Sachen importieren. Eigentlich wollte ich ja über's Wochenende nach Dubai fliegen, zu IKEA und um eine Bekannte zu besuchen. Nach der Buchung der Flugtickets hab ich aber bemerkt, dass ich das Land momentan gar nicht verlassen kann, weil ich noch keine Aufenthaltsgenehmigung habe und mein Visum nur zur einmaligen Einreise gut war. Das ist ein komisches Gefühl. Zum Glück erstattet mir die Airline fast den ganzen Ticketpreis. Am Abend mache ich Heimatprogramm auf dem Sofa. Das erste Mal seit über 10 Jahren habe ich wieder eine Fernseher. Immerhin mit ARD und ZDF. Ich schaue Großstadtrevier, dazu gibt's Gummibärchen. Heute bin ich an meiner neuen Schule. Ferienzeit ist Bauzeit und es ist alles andere als ruhig auf dem Campus. Meine Klasse zieht nach den Ferien in ein neues Klassenzimmer und dank meiner fantastischen Kollegen ist das Zimmer schon so gut wie eingerichtet.
Nach der Schule nehme ich mir ein Sammeltaxi. Die Fahrt führt 10 Minuten über den Sadr Expressway, dessen 12 Fahrspuren sich auf zwei Ebenen verteilen. Beim Ausstieg an der Ausfahrt zahle ich 15.000 Rial (45 Cent). Dann sind es noch 15 Minuten Fußweg, vorbei an Plattenbauten, Obst- und Gemüsehändlern, dem Shoppingcenter und den Armani Luxury Appartments. Das ist er also, mein neuer Heimweg. Mission für heute: Handtücher und so im größten Bazar der Welt besorgen. Im Bazar gibt es alles (man sagt, man bekommt hier auch die Milch eines Huhns), man muss es nur finden.
Ich laufe bis die Fußsohlen glühen. Handtücher gibt es nur mit Goldverzierungen oder aufgenähten Herzen und Blumen 🙄. In einem Laden ist die Golddeko erträglich winzig und ich starte die Verhandlungen. Die Verkäufer beharren darauf, dass es sich um Festpreise handelt 😂😂😂. Es dauert ordentlich, bis ein vernünftiger Preis erreicht ist. Am Ende des Tages habe ich fast alles bekommen. Schokolade fehlt auch nicht. Mit vollem Rucksack und dicken Tüten Metro fahren ist jedoch nicht wirklich vorgesehen. Ohne die Hilfe der anderen Fahrgäste, die meine Absicht des Aussteigens erkannt haben und von hinten kräftig mitgeschoben haben, hätte ich es beim Umsteigen nicht gegen die einströmenden Massen nach Draußen geschafft. Gestern Nachmittag bin ich in meine neue Wohnung in Teheran gezogen. Weil alles möbliert ist und ich nur zwei große Koffer dabeihabe, geht der "Umzug" total schnell.
Im Shoppingcenter nebenan gibt es gute Pizza mit Aussicht auf die Berge. Das ist doch was Schönes. Am Abend gehe ich im nahen Niavaran Park spazieren. Überall picknicken Familien und in einem Seitenteil des Parks wird Tischtennis gespielt. Ich setze mich mit einer Dose Rani Orangensaft an einen Springbrunnen und beschließe mich mit dem Öffnen der Dose offiziell als Einwohner Teherans zu zählen. Teherantaufe sozusagen. Im Iran leben genauso viele Menschen, wie in Deutschland. Ich bin einer von 80 Millionen. So oder so. Kurz nach dem Aufsetzen in Teheran, während das Flugzeug noch rollt, legen alle Frauen ihr Kopftuch an. Ich tausche solange die Sim-Karte. Die Passkontrolle geht schnell, meine Koffer sind da und auch die Gitarre hat es bis Teheran geschafft.
Der Taxifahrer heißt David und muss dreimal nachfragen. Wie lange bleibe ich im Iran? Drei Tage? Drei Wochen? Nein, drei Jahre. Mindestens. Er fährt von der Autobahn ab und holt uns erstmal Erdbeereis. Die Sonne geht gerade auf, als ich im Hotel einchecke. "Welcome back Mr. Claassen." Das Wi-Fi verbindet sich automatisch. Jetzt bin ich angekommen. Es ist soweit. Heute ziehe ich für die nächsten Jahre nach Teheran. Abzureisen ist ein trauriges und schönes Gefühl zugleich. Ich werde die vielen lieben Menschen hier vermissen, das frische Grün, die saubere Luft, die Sprache und all die Kleinigkeiten, die mir lieb und gewohnt geworden sind. Gleichzeitig freue ich mich auf die neuen Herausforderungen im Iran und auf einen offenen Weg voller Entdeckungen und Überraschungen.
Ich sitze im Zug zum Flughafen und höre Musik. Es ist ein wenig so, wie es im Film immer heißt wenn jemand fast stirbt: Das Leben zieht vor dem Zugfenster und meinem inneren Auge vorbei. Der Bahnhof in Ulm - hier habe ich über 15 Jahre als Lokführer gearbeitet; meine Wohnung direkt am Gleis, Lonsee - hier habe ich die letzten zwei Jahre als Lehrer gearbeitet, es winkt vom Bahnsteig her, ich winke zurück; Stuttgart und Ludwigsburg - auch hier habe ich gewohnt und studiert; Mannheim - ich erinnere mich an Nächte im Güterbahnhof. Die nächste Station ist Frankfurt Flughafen. Deutschland "Uuuuund Tschüss!" So verabschieden wir uns in der Klasse jeden Tag. Nur am letzten Tag vor den Ferien nicht. Da passt es irgendwie nicht. Es wird ein fröhlicher und trauriger Abschied zugleich. Ich verabschiede nicht nur meine 4. Klasse, ich verabschiede mich gleich selbst mit. Mit dem näher rückenden Abreisedatum habe ich das Gefühl die begrenzte Zeit noch optimal nutzen zu müssen. Freunde besuchen, sich um die Familie kümmern, verrückte Sachen machen - geradeso als ob die Lebenszeit begrenzt wäre. Das ist totaler Quatsch, die Lebenszeit ist immer begrenzt und ich nehme mir vor, die Prioritäten in meinem Leben künftig überlegter zu verteilen. Ich treffe in den letzten Wochen bevor es losgeht viele Menschen, die ich schon lange nicht mehr gesehen habe. Ich erzähle unzählige Male wie es zu der Entscheidung für den Iran gekommen ist und was mich so alles erwartet. Je öfter ich es erzähle, umso selbstverständlicher wird es für mich. Immer wieder mache ich irgendetwas zum letzten Mal. Das fühlt sich dann schon komisch an. Am komischsten ist es im Kaufland. Ich verabschiede mich am Samstag bei den Kassiererinnen, die mich kennen. Alle sind ganz aufgeregt und wünschen mir nur das Beste. Am Montag bin ich wieder im Kaufland - was vergessen. Nochmal Verabschiedung. Diesmal wirklich. Am Dienstag - fehlt immer noch was. Breites Grinsen, ich schon wieder. Nochmal beste Wünsche und tschüss. Am Mittwoch fällt mir ein, dass ich unbedingt noch die superweichen Zahnbürsten brauche. Die gibt's im Iran vielleicht nicht. Mir ist's peinlich, ich verdrehe die Augen an der Kasse. Wenn ich jetzt noch was vergesse werd ich mir einen anderen Supermarkt suchen... Einmal noch in die Berge, ein letzter Flug, die letzten Sachen aus dem Klassenzimmer ausgeräumt, mit dem letzten Besuch noch ein letztes Mal auf's Münster, Kofferpacken und ein letztes mal ins Bett.
Eine Freundin hat mir zum Abschied diesen Spruch gegeben: "All changes, even the most longed for, have their own melancholy; for what we leave behind us is a part of ourselves. We must die to one life before we can enter another." Ulm, Berlin, Bonn
Die Frage begleitet mich seit Anfang des Jahres: "Iran? Ist das nicht gefährlich?" Tatsächlich ist es nicht ganz ungefährlich in dem Land mit 26.000 Verkehrstoten im Jahr, dass meint aber niemand. Ansonsten mache ich mir keine Sorgen. Ich freue mich auf ein wunderbares Land mit herzlichen Menschen, das für die nächsten Jahre meine neue Heimat wird. Für mindestens drei Jahre werde ich in Teheran wohnen und arbeiten. Das halbe Jahr vor der Abreise ist voller Papierkram, Organisation und so weiter. Nach Berlin reise ich eigentlich nur um meine Fingerabdrücke beim Auswärtigen Amt abzugeben, besuche aber gleich noch zwei Freunde. In Bonn sitze ich eine Woche lang mit der ganzen Welt an einem Tisch. 30 Lehrkräfte, die in den Auslandsdienst wechseln haben Schildchen mit ihrem Namen und "ihrem" Land vor sich. Die Anzahl der Leute, die man sich vornimmt im Ausland zu besuchen erhöht sich erheblich. |