Kairo - Gizeh - Sakkara Am Ende der Reise fragt man sich was bleibt? Erinnerungen, ein paar Fotos, ein Fläschchen Sand? Und am Ende des Lebens? Was bleibt von uns, was geschieht mit dem, was uns ausgemacht hat? Im alten Ägypten hat man sich dazu etwas hübsch dekadentes ausgedacht: Wer genug Macht und Reichtümer besaß, hat nicht nur seine Kostbarkeiten und Lieblingstiere für den Transfer ins Jenseits mit ins Grab genommen, sondern auch gleich für eine Art Unsterblichkeit gesorgt. Durch das Mumifizieren konnten die Körper außerordentlich haltbar gemacht werden und Grabstätten in Form von gigantischen Pyramiden verhindern bis heute das Vergessen der Dahingeschiedenen. Obwohl deren Ableben schon über 4000 Jahre zurückliegt. Alle Achtung. Im Lonely Planet steht, man soll sich an den Pyramiden von Gizeh auf den ganz großen Touristenrummel gefasst machen. Es gibt Überlebenstipps, wie man die Horden von Kamelrittanbietern erfolgreich abwimmelt und wann welche Tickets ausverkauft sein werden. Als ich um 8:30 Uhr durch den Eingang laufe, bin ich mir erst nicht sicher, ob ich überhaupt richtig bin. Abgesehen von ein paar Polizisten bin ich der einzige, der zwischen Sphinx und Pyramiden umherläuft. Es dauert noch eine ganze Weile, bis ich ein paar andere einzelne arabische und asiatische Touristen sehe. Einen Kamel- oder Pferderitt bekomme ich nicht angeboten. Kein Tourbus, keine Reisegruppe, keine Souvenirverkäufer. Ich stehe ganz alleine zwischen den Pyramiden, dem letzten noch existierenden Weltwunder der Antike. Ich laufe etwas in die Sahara hinein um mit Abstand auf das einsame Weltwunder zu schauen. In der Ferne hört man das Rauschen der 15 Millionen Einwohner Metropole Kairo. Was die Menschen die hier vom Tourismus leben jetzt wohl machen. Ich bekomme die Antwort von Adam, der mir dann doch einen Pferderitt verkaufen will. Er hat vier seiner sieben Pferde verkaufen müssen. Zu einem schlechten Preis. Er fürchtet heute gar keinen Ritt verkaufen zu können und geht mit dem Preis so lächerlich weit runter, dass ich ihm am Ende etwas Geld gebe ohne zu reiten. Als ich das Gelände verlasse, sehe ich am anderen Ende doch noch ein paar Tourbusse parken. Mit dem Taxi fahre ich ein ganzes Stück bis Sakkara. Hier steht die älteste Pyramide der Welt, die Stufenpyramide. 4600 Jahre hat sie überdauert, doch jetzt ist sie akut vom Einsturz bedroht, weil die Restauration an eine Baufirma übergeben wurde, die keine Erfahrung mit historischen Bauwerken hat und scheinbar alles falsch macht. Archäologen und Historiker sind entsetzt, die Regierung ist sich aber sicher, die richtige Firma beauftragt zu haben und noch steht ja schließlich alles. Im Inneren der Roten Pyramide steige ich einen beängstigend engen und steilen Schacht hinab bis ich eine große Kammer erreiche. Dann kommt noch eine Kammer und noch eine. In der letzten muffigen Kammer treffe ich Jeff, einen amerikanischen Wissenschaftler, der ganz selig mit einer Lampe die Wände ableuchtet. Ich lasse mich von seiner Begeisterung für die präzise passenden Steinquader anstecken und muss ihm beipflichten: Es muss eine großartige Zivilisation gewesen sein, die es sich leisten konnte so viel Zeit und Energie in verschwenderische Perfektion zu investieren. Immerhin mehrere Tausend Jahre vor dem Mittelalter. Mein Taxifahrer fragt, ob wir kurz bei einem Polizeiposten auf einen Tee anhalten könnten, das wären seine Freunde. Natürlich machen wir das. Zwischen Maschinengewehren und dem schicken Polizeiquad sitzen wir unter einem Holzdach, dass etwas Schatten in der Wüste spendet und trinken Zuckerschocktee. Polizei- und Militäranlagen zu fotografieren ist streng verboten aber ein Selfie mit den Polizisten ist drin. Im Al Azhar Park lasse ich meinen letzten Tag in Kairo ausklingen. Familien sitzen im Grünen und picknicken. Im Seerestaurant sitzen herausgeputzte Pärchen und feiern den Valentinstag vor, der hier eine ganz große Sache zu sein scheint. Überall gibt es übergroße pinke Liebesbären zu kaufen. Ich lege mich ins Gras und schaue zu, wie die Sonne langsam und dramatisch über den Minaretten Kairos untergeht. Ein schönes Land.
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Kairo Im Hotel Berlin ist alles ganz alte Schule. Die zwei Angestellten sind beide mindestens 70, das Haus ist historisch und der Lift so antik, dass er vorne und hinten offen ist. Gitter am Schacht gibt es auch keine. Wenn man zu schwungvoll in den Aufzug steigen würde, würde man hinten gleich wieder hinausfallen. Während der Fahrt hat man einen Quadratmeter Fußboden unter sich, zwei Wände neben sich und ansonsten vorne und hinten hervorragende Aussicht auf das Treppenhaus. Solange man alleine unterwegs ist, durchaus machbar. Zu viert in der Kabine aber doch etwas unheimlich. Das Hotel liegt unweit des Tahrir Platzes. Ausgangspunkt der ägyptischen Revolution und eng verbunden mit dem arabischen Frühling. Einige Seitenstraßen sind noch mit Betonklötzen blockiert, Stacheldraht Barrikaden stehen bereit um gegebenenfalls weitere Straßen abriegeln zu können. Als ich morgens gerade aus dem Hotel komme, höre ich Sprechchöre und lautes Rufen aus Richtung Tahrir Platz. Polizeisirenen. Auf dem Weg zur Metro komme ich den Sprechchören näher. Ich sehe Menschen auf Kleinbussen stehend, die rote und weiße Flaggen schwenken. Sehr viele sind es nicht. Dafür gibt es einen Kamerakran, Scheinwerfer und einen brüllenden Regisseur mit Megafon. Hier wird ein Film gedreht und jetzt ist Drehpause. Die Passanten zücken ihre Handys und jeder will ein Selfie mit dem Star im hellblauen Hemd machen. Ein paar Mal lässt er das mit sich machen, dann verschwindet er in seinem Wohnmobil. Im koptischen Stadtteil Kairos sind so viele Kirchen auf kleinstem Raum, dass man kurz nach dem Verlassen einer Kirche sofort vor dem nächsten Kircheneingang steht. Ich verliere den Überblick, in welcher Kirche ich gerade bin und setze mich etwas in den Kindergottesdienst, der gerade stattfindet. Mit PowerPoint, etwas Gesang und viel Trubel. Im nächsten Stadtteil ist es ähnlich, nur dass es nun Moscheen sind statt Kirchen. Es ist Freitag und das Wochenende in vollem Gange. Die Arbeitswoche in Ägypten beginnt am Sonntag und endet am Donnerstag. Auf Plätzen sitzen Familien dicht gedrängt beim Picknick, in den Gassen sind neben den Bazaren zusätzliche Marktstände aufgebaut und überall gibt es Seifenblasenfläschen und rosa Zuckerwatte zu kaufen. Ich versuche eine gebratene Taube, die zwar außerordentlich lecker ist, aber eher zum kleinen Appetit passt. Auf einem Turm, hoch über der Altstadt, finde ich etwas Ruhe, Übersicht und Nervenkitzel. Die obersten Stufen zur Aussichtsplattform fehlen. Lediglich die Metallstreben sind noch da. Es sind zwar nur noch knapp zwei Meter nach oben, trotzdem eine recht luftige Angelegenheit. Ganz oben angekommen lerne ich Josh aus den USA kennen. Wir reden bis der Turm schließt und man uns beinahe einschließt. Josh hatte eine Geschäftsidee, die von mir hätte sein können. Er vertreibt in Phoenix, Arizona Kunsthandwerk aus aller Welt, das er höchstpersönlich einkauft. Dazu muss man natürlich viel reisen und er ist etwa sechs Mal im Jahr unterwegs. Er macht das seit zwanzig Jahren so und kann viel über die Welt und wie sie sich verändert hat erzählen.
El Gouna - Kairo Ich frühstücke morgens am Roten Meer, bin mittags bei den Mönchen im Kloster und abends im Stau in Kairo. Dazwischen liegen viele hundert Kilometer Wüste. In El Gouna spaziere ich nach dem Frühstück etwas am Strand entlang. Das Wasser ist türkisblau und glasklar, alles sieht aus wie im Reiseprospekt. Im Yachthafen liegen dicke Boote und ein Grüppchen Jogger dreht seine Runden. Ansonsten ist alles wie ausgestorben. Ich mag es durch die Wüste zu fahren. Die Endlosigkeit, die Weite und die Stille wenn man anhält zeigen einem ganz unaufdringlich deutlich wie klein man ist und wie verloren man auf diesem Planeten sein kann. Da wirkt eine Tankstelle mitten im Nirgendwo wie eine Insel der Zivilisation - besonders wenn es eine Eistruhe gibt. Ein Magnum bitte. Das St. Pauls Kloster liegt in den Bergen umgeben von Wüste. Die Mönche leben hier seit vielen hundert Jahren in Schlichtheit und Abgeschiedenheit. In den letzten Jahrzehnten sind Klimaanlagen, Parkplätze und ein Souvenirshop dazugekommen. Am Flughafen gebe ich meinen Mietwagen ab und fahre dann mit dem Bus in die Innenstadt. Die Straßen in Kairo sind so verstopft, dass der Bus für die ersten 10 Kilometer über 90 Minuten braucht. Zwischen den Fahrzeugen sind nur gefühlte Millimeter, alles hupt, schiebt und drängelt. Ich stelle mir ein selbstfahrendes Auto in diesem Verkehr vor, dass sich versucht an Sicherheitsabstände, Verkehrsregeln oder sogar an Fahrspuren zu halten. Dazu müsste wohl erst ein Chaosmodus programmiert werden. Nach einer weiteren halben Stunde entschließe ich mich auszusteigen und zu Fuß zu gehen. Es sind zwar noch ein paar Kilometer, trotzdem geht das schneller.
Luxor - Hurghada - El Gouna Wenig Touristen + viele Heißluftballons = billige Tickets für eine Fahrt im Ballon. Für gerade mal 25,- € kann man sonst nirgendwo in die Luft gehen. Die Bodencrew hat vor dem Start den schwersten Job: Die Leute dazu zu bringen, beim Aufblasen der Ballons nicht zu stören und statt Selfies vor den Flammen zu machen, bei den Sicherheitseinweisungen zuzuhören. Irgendwie klappt trotzdem alles und kurz vor Sonnenaufgang hebe ich zusammen mit ein paar Australiern, einem Engländer und ganz vielen Chinesen ab. Beim Frühstück komme ich mit Tanja und Sarah aus Herne ins Gespräch. Zu lange kann ich nicht quatschen, ich will heute noch durch die Wüste bis El Gouna fahren. Die beiden sind erstaunt, dass ich selber fahre: "Aber kennst du dich denn hier aus, kannst du die Schilder überhaupt lesen?" Ich frage sie, ob sie schon mal gehört haben, dass sich einige Zugvögel am Erdmagnetfeld orientieren. Ja, haben sie. Ich behaupte, dass ich auch einen Magnetsinn habe - das gibt es bei Menschen nur ganz selten - und deshalb kann ich einfach drauflos fahren und komme immer richtig an. Die Damen sind irritiert aber beeindruckt. Ich setze noch einen drauf: "Wenn keine störenden Stromleitungen in der Nähe sind, kann ich sogar spüren, wenn bei anderen der Vibrationsalarm am Handy losgeht. Das sind ganz starke Magnetfelder..." Dann zeige ich ihnen doch Google Maps auf meinem Handy und tippe auf "Start Navigation". Fast zu einfach. Aber das Schild "Vorsicht Bremshügel!", kann ich tatsächlich auf arabisch lesen. Auf dem Weg nach Osten passiere ich mehrere Polizei- und Militärkontrollen. An der dritten oder vierten zeigt ein Soldat mit seinem Maschinengewehr auf das Autoradio: "So, you're listening to American music? That will bring you to jail for one year." Ich grinse ihn an und frage wie lange ich wohl für deutsche Musik ins Gefängnis müsste. "Three month." Wir lachen und ich darf weiterfahren. Ich soll jemand Sand aus der Wüste mitbringen. Auch wenn ich heute stundenlang durch die Wüste fahre, erfordert das ein wenig Aufmerksamkeit. Nur ein kleiner Teil der Wüste ist wirklich Sand. Der größte Teil besteht aus Fels, Steinen und Geröll. Als ich eine schöne kleine Wanderdüne gefunden habe, möchte ich da auch raufsteigen. Aber so weichen Sand hab ich überhaupt noch nicht gesehen. Nach zwei Schritten, versinken meine Füße und ein Teil meiner Unterschenkel im Sand. Das macht das Laufen fast unmöglich und ist irgendwie unheimlich. Ich komme mit einer Flasche und zwei Schuhen voll Sand von der Düne zurück. In Hurghada mache ich einen kurz Stopp zum Abendessen an der Marina. Die Stadt macht einen beklemmenden Eindruck. Überall stehen verlassene Bauruinen und an der Promenade kann ich mir aussuchen, in welchem Lokal ich als einziger Gast essen möchte. Vor dem Ausbau zum Touristenziel, war Hurghada ein kleiner Fischerort. Den Fischereihafen gibt es immer noch und zusammen mit der neuen Moschee ist er das einzig Schöne was ich hier auf die Schnelle entdecke.
Luxor Der Skipper der "Titanic" bringt es auf den Punkt: "So many boats, but no tourists coming. Very hard now." Tatsächlich ist das touristische Angebot in Ägypten überall größer als die Nachfrage. Das drückt den Preis und den Menschen auf die Stimmung. Die Ägypter wissen warum die Ausländer wegbleiben, einen rationalen Grund gibt es dafür aber eigentlich nicht. Touristen treffen ihre Reiseentscheidungen auch nach Medienberichten über vermeintlich erhöhte Gefahren. Dabei werden alltägliche und gewohnte Risiken akzeptiert, fremdartige oder neuartige Risiken werden dafür oft als starke Bedrohung wahrgenommen. 3.500 Straßenverkehrstote pro Jahr in Deutschland nehmen wir hin, ohne auch nur kurz abzuwägen, ob uns Sicherheitsbedenken vom Autofahren abhalten sollten. Auch 74.000 Alkoholtote pro Jahr in Deutschland, werden wohl kaum jemand vom Alkoholkonsum abhalten. Ganz anders sieht es bei der Beurteilung der Sicherheitslage im Ausland aus. In der Tat ist es nicht ganz ungefährlich in Ägypten zu reisen. Das liegt aber rationell gesehen am Straßenverkehr. 12.000 Straßenverkehrstote im Jahr. Wer sich damit arrangieren kann, kann weitere medienwirksame Gefahren eigentlich als nicht relevant einordnen. Als ich das Boot verlasse, drückt mir der Bootsmann die Hand und bittet mich: "Please tell the Germans, we are not bad people." Ich habe es aufgegeben, die Einladungen zum Tee der "not bad people" zu zählen. Es sind einfach zu viele und ich muss auch hin und wieder ablehnen. Die Tage sind manchmal einfach zu kurz. Auf dem Platz vor dem Luxor Tempel vergnügen sich die Einheimischen mit Eis, Picknick und Fußball. Die jüngeren Kinder düsen mit kleinen elektrischen Autos auf dem Platz umher, während die größeren Kinder mit großen Quads zwischen den Palmen waghalsig durch die Pfützen rasen. Es ist ein großer öffentlicher Platz, man könnte es eine Menschenansammlung nennen und die Quads sind eine echte Gefahr... "Bad people" kann ich hier aber nicht entdecken. Am Abend miete ich mir ein Boot auf das bestimmt 30 Leute passen würden. Ich hätte auch gleich 20 Boote mieten können, es fehlt wie gesagt an Touristen. Also lasse ich mich ganz alleine zum Sonnenuntergang über den Nil schippern. Der Bootsmann macht Witze und fordert mich auf überall mal zu sitzen, es sei schließlich ganz alleine mein Boot. Ob er es auch gesagt hätte, wenn er gewusst hätte, dass ich wirklich dauernd woanders bin, weiß ich nicht. Auf dem Dach gefällt es mir am besten. Manchmal ganz vorne, manchmal ganz hinten, dann wieder an der Seite, in der Mitte und dann doch wieder ganz vorne...
Luxor Eigentlich wollte ich nur schnell ein Bild vom Zuckerrohrzug machen. Doch dann bekomme ich alles ganz genau erklärt. Ismael und seine Freunde schälen mir ein Zuckerrohr und ich darf hineinbeißen. Schmeckt wir gezuckertes Holz und ist sogar ein wenig saftig. Das Tal der Könige ist die Hauptattraktion auf dieser Seite des Nils. Die Reisegruppen, die über den Parkplatz zum Eingang strömen, sind mir wirklich zu viel und ich lasse diese Sehenswürdigkeit einfach aus. Tempel und Grabstätten gibt es hier sowieso genug. Ich suche mir einen Berg, der übersät ist mit Gräbern. Ich bin der einzige Tourist weit und breit und muss mir die Grabkammern einzeln aufschließen lassen. Der Mann mit dem Schlüssel weist mich daraufhin, dass Fotografieren verboten ist. Er würde aber seinen Job und mindesten sein Leben für einen kleinen Obolus riskieren und Schmiere stehen. Nach dem dritten Grab hört er langsam auf so superauffallig Schmiere zu stehen. Am Abend sitzte ich im leeren Sunflower Restaurant und unterhalte mich mit dem Besitzer. Zuerst ist es nur etwas Smalltalk über das gute Essen, dann wird das ganze zu einer Art Unternehmensberatung. Er ist in diesem Fall der Unternehmer, ich der Berater. Wie ich finde, bekommt das Lokal trotz tollem Blick über den Nil, fantastischem Essen und einem sehr charmanten Chef zu wenig Beachtung bei Tripadvisor. Wir sprechen über das schmutzige Geschäft mit gekauften Onlinebewertungen und die legalen Möglichkeiten sein Lokal populärer zu machen. Achmet, so heißt der Eigentümer, setzt sich nun ganz zu mir und möchte eine Einschätzung seiner Preisgestaltung. So geht das immer weiter und wir dringen immer tiefer in die Schwierigkeiten des Restaurants vor, das Ahmet erst vor fünf Monaten eröffnet hat. Davor war er Lehrer, konnte sich aber mit dem schmalen Gehalt die Privatschule, auf die er seinen Sohn schickt, nicht mehr leisten. Vom staatlichen Schulsystem hält er nichts, schon wegen der lächerlichen Bezahlung. Welche Art von Lehrern soll man da erwarten? Als er davon erzählt, wie er einen Schüler dazu gebracht hat wieder freiwillig in die Schule zu gehen, indem er mit ihm gemeisam einen Baum gepflanzt hat, merkt man, dass er seinen Beruf nur ungern aufgegeben hat.
Zurück im Hotel schreibe ich meine erste Tripadvisor Bewertung. Kairo - Luxor Die Mission für heute lautet: Hole dir einen Mietwagen und fahre durch die Wüste ins 650 Kilometer entfernte Luxor. Wäre es ein Computerspiel, gäbe es zwei Balkenanzeigen am Bildschirmrand. Eine für die verfügbare Zeit, eine für Energie. Als ich das Haus um 8:00 Uhr verlasse, sind alle Anzeigen auf 100%. Level 1 - Finde dein Fahrzeug Das Einstiegslevel hat es in sich. Der Uber-Fahrer fragt dreimal nach, ob die Adresse wirklich richtig ist. Ja, die Adresse steht genauso in meiner Mail von Europcar und auch auf der Webseite der Autovermietung ist die Adresse inklusive Kartenansicht genau so veröffentlicht. Komisch finde ich die Location auch. Und ich habe verstanden, dass die Adresse "106 Town Center, 90th Street, 5th Settlement", nicht im Stadtzentrum liegt. Als ich im Gewerbegebiet aussteige, bin ich noch ganz optimistisch. Ich werd mich einfach durchfragen. Bei McDonalds und bei DHL, die an der angegebenen Adresse sind, weiß niemand etwas von einem Autovermieter. Man schickt mich aber in eine andere Straße. Dort wäre die Adresse 106 Town Center. Nach 20 Minuten Fußweg mit Rollkoffer stehe ich vor dem blauen Gebäude von Microsoft. Auf dem Boden vor dem Eingang steht in großen Buchstaben: CTC. Cairo Town Center vielleicht? Ich frage einen Schlipsträger, der vor der Türe eine Zigarette raucht. Er kennt die Adresse nicht, schickt mich aber zu einem Büro auf der anderen Straßenseite (dort arbeitet jemand der sich hier auskennt) und verspricht solange auf meinen Koffer aufzupassen. Ich frage noch geschätzte 20 weitere Leute, werde einmal zum Tee eingeladen, laufe bestimmt 10 Kilometer durch die Gegend und meine verfügbare Zeit um noch bei Tageslicht nach Luxor zu kommen schrumpft rapide. Auch Anrufe bei Europcar bleiben erfolglos. Niemand nimmt ab. Um 10:30 Uhr gehe ich in einen Vodafone Shop, um mir mobiles Internet zu besorgen. Vielleicht hilft das. Das Aktivieren der Simkarte schlägt erst mal fehl und nicht nur meine Zeit schwindet, jetzt wird auch die verfügbare Energie meines Handys langsam geringer. Dabei brauche ich dringend einen vollen Akku um später mit dem Auto den Weg zu finden. Dafür hat die Dame von Vodafone eine Freundin, die bei Europcar arbeitet. Ein toller Zufall. Schnell ist eine vernünftige Telefonnummer organisiert und ich erfahre, dass die Adresse, die ich gesucht habe, seit zwei Jahren nicht mehr existiert. Ich soll doch schnell zum Flughafen kommen. Level 2 - Überlebe die Taxifahrt Schnell ist das Motto des Taxifahrers, der mit zum Flughafen bringt. Sein Tacho funktioniert nicht mehr, das Gaspedal dafür umso besser. Ich versuche mich auffällig anzuschnallen, was auf der Rückbank nicht geht. Er versteht meinen dezenten Hinweis nicht. Darum schwindel ich ihn etwas an und behaupte, ich hätte es gar nicht eilig. Auch das wirkt nicht. Weil der Chauffeur so auf's Rasen konzentriert ist, verpasst er glatt die Ausfahrt zum Flughafen. Das ärgert ihn ganz gewaltig. Nach einer kleinen Ewigkeit kommt eine Stelle zum Umdrehen. Allerdings nicht für unsere Fahrtrichtung, sondern für den Gegenverkehr. Das stört den Fahrer nicht im Geringsten, er beweist stattdessen, dass er auch rückwärts rasen kann. Er schießt rückwärts aber ohne Rücksicht in den Gegenverkehr. Ein Auto versucht uns auszuweichen, rammt dabei einen weiteren Wagen. Beide Fahrzeuge geraten ins Schleudern und driften von der Fahrbahn in den Sand. Dabei wird ein kleiner Baum umgerissen und eine Scheibe geht zu Bruch. Verletzt ist niemand. Zu zehnt versuchen wir die Autos wieder aus dem Sand zu schieben, was aber nur bei einem Wagen gelingt. Als wir wieder unterwegs sind, versucht der Fahrer die verlorene Zeit aufzuholen. Weil noch mehr Tempo nicht geht, fügt er aggressiven Fahrstil hinzu. Als er sich zwischen zwei Fahrzeugen - die sich anderthalb Fahrspuren teilen - durchdrängen will passiert es. Wir schrammen am rechten Auto entlang und stoßen fast gleichzeitig an das Heck des linken Fahrzeugs. Ohne dabei anzuhalten wird kurz durch die Scheiben geschimpft und schon sind wir weg. Level 3 - Energiemanagement Der Agent von Europcar fragt mich, ob ich nicht einen Fahrer zum Auto dazubuchen möchte, die meisten Europäer würden das tun. Ich überzeuge ihn: "Trust me, I'm from Germany, I can handle the traffic. We invented the car and we have freeways without speed limit." Als ich noch hinzufüge, dass mein Taxi auf dem Weg zwei Unfälle hatte und ich lieber selber fahre, muss er sehr lachen und schenkt mir erstmal einen Tee ein. Als ich Kairo hinter mir gelassen habe, ist es 15:30 Uhr. Meine imaginäre Zeitverfügbarkeitsanzeige ist im roten Bereich, die Energieanzeige am Handy sieht auch nicht so gut aus. Die ersten 600 Kilometer durch die Wüste werde ich wohl finden, aber dann bräuchte ich Google Maps eigentlich schon. Allerdings ist der Radioempfang gleich nach den ersten Kilometern Wüste weg. Ohne Musik durch die Gegend fahren ist wie ein Computerspiel ohne Soundtrack. Also stöpsel ich das Handy ans Radio und schon macht das Fahren richtig Spaß. Damit der Akku eventuell doch durchhält, versuche ich alles abzuschalten, was nicht unbedingt nötig ist. Die Route habe ich mir vorher nochmal genau eingeprägt und ich bilde mir ein, meine Unterkunft auch ganz ohne Karte finden zu können. Ich spüre, dass es um meine eigene Energie auch nicht mehr so optimal bestellt ist und investiere etwas kostbare Zeit in einen Stop an einem Roadhouse. Die verstreichende Zeit verwende ich gleichzeitig als Investition in Akkuladung. Ich habe Hunger und kann wählen zwischen Chips, Keksen, Softdrinks und Wasserpfeife. Bis auf die Wasserpfeife nehme ich alles. Draußen am Parkplatz werde ich angesprochen und zum Tee eingeladen. Weil die Teekanne leer ist, bekomme ich ersatzweise eine Dose Cola. Ich frage meine Parkplatzbekanntschaft, ob denn auch mal eine Tankstelle in der Wüste kommen würde. Ja, irgendwann... Während der Weiterfahrt sieht die Energieanzeige so aus: Mein Magen - fast voll. Handy - kritisch. Autotank - noch ok, es sind aber noch 400 Kilometer Wüste. Als die Sonne untergeht, kurz bevor ich richtig nervös werde, kommt dann doch noch eine Tankstelle. Um 22:30 Uhr habe ich mein Ziel mit 4% Handyakkuladung, Musik bis zum Schluss, noch einer zweiten Ladung Chips und Keksen und nur einmal Verfahren erreicht. Mission erfüllt.
Rom - Kairo Der Flug von Rom nach Kairo ist richtig schön. Lange Zeit sieht man die italienische Küste, kleine Inseln im tiefblauen Mittelmeer, hier und da ein Schiff und in Ägypten fliegen wir eine ganze Weile unter den Wolken über die Wüste und passieren immer wieder kleine Regenschauer. Mein Taxichauffeur am Flughafen Kairo heißt Bibo und startet zunächst die übliche Konversation. "Welcome to Egypt! Where do you come from? Ahhh, Germany - Mercedes, BMW, Audi, Porsche, Bayern München, Angela Merkel. I have a friend in Hannover... First time Egypt?" Dann wird es kreativer. Er schließt sein Handy an das Autoradio an und führt seine Musiksammlung vor. Damit es besser wirkt, schaltet er noch die blauen Leuchtschnüre an, die vom Spiegel hängen und durch zwei Automodelle gefädelt sind. Vor den Modellautos liegt ein Koran auf dem Armaturenbrett. Als wir durch einen Tunnel rasen, zieht er ein paar Kabel unter dem Lenkrad vor, an denen kleine Schalter baumeln. "Look, I'm the police!", ruft er und schaltet eine Polizeisirene ein. Tatsächlich fühlt sich die Fahrt jetzt noch schneller und noch viel aufregender an. Besonders, als wir an einem Polizeiwagen vorbeischießen, der in einer Haltebucht steht...
Ulm - Frankfurt - Rom Wenn es diese Vorstellung vom Lehrer gibt, der am letzten Schultag mit gepacktem Koffer in die Schule kommt und am Ende der Ferien ganz knapp wieder einfliegt - heute bin ich das lebende Klischee. Mein Zug zum Flughafen fährt 27 Minuten nach Schulschluss. Das ist hyperknapp. Die Faschingsferien sind aber auch kurz. Vorher habe ich noch schön Spaß bei der Faschingsfeier mit meinen Schülern. Lehrer sein ist einfach klasse. In meinem Klassenzimmer tobt die Schuldisko. Alles tanzt, alle haben Spaß. Bis auf die Schüler, die draußen auf dem Gang beleidigt, geschubst und geschlagen werden. Auch die Schüler, die sich so aufregen, dass es kaum möglich ist sie davon abzuhalten andere Kinder zu verletzen, haben keinen Spaß. Am Ende sind es mehrere Kinder, bei denen ich ernsthafte Bedenken habe, dass der Kopf vor lauter Aggression platzt. Es wird geschrien und gebrüllt, gejammert und gemotzt. Das große Jahresthema von letztem Schuljahr "Respekt", habe ich in dieses Jahr verlängert. Das Motto des Monats ist: "Motz nicht." Mein persönlich Motto mit dieser Klasse ist: "Never, ever, ever, ever give up." Am Ende des Schultages muss die Rektorin kommen und einschreiten. Es tut mir so leid zu sehen, wie die friedlichen Schüler der Klasse unter den Anschiss leiden. Ich bin niemand böse, ich kann sowieso alles verstehen, aber enttäuscht bin ich schon. Gestern haben wir uns ein Video eines krebskranken Jungen angeschaut, der in seinem Krankenhausbett zusammen mit Rachel Patten "Fight Song" singt. "What are you fighting for?", war meine Frage an die Schüler. Ein Moment in dem einem die eigenen Probleme klein vorkommen. Zum Abschluss des Tages singen wir auch heute gemeinsam "Fight Song". Und da sind sie wieder alle vereint. 26 Stimmen, 26 Herzen, 26 nichtexplodierte Köpfe. Schön. Im Zug nach Frankfurt führe ich drei Elterngespräche am Telefon, beantworte zwei Elternmails, einige Eltern-WhatsApp, ein Schüler schreibt mir und bedauert sein Verhalten. Ein anderer Schüler setzt einen Verbesserungsvorschlag von mir in der WhatsApp Klassengruppe um und ich bekomme auch noch eine Fotostrecke über die aktuellen Vorbereitungen einer Schülerpräsentation geschickt. Läuft. Am Flughafen in Frankfurt bin ich mit Patrick aus Manila verabredet. Wir sind im Sommer in Indonesien gemeinsam auf zwei Vulkane gestiegen. Patrick arbeitet für die Deutsche Bahn - in Manila. Jetzt ist er für einige Wochen in Frankfurt. Als erstes essen wir Waffeln, die er von Gitta - einer gemeinsamen Vulkanbekanntschaft - aus Amsterdam mitgebracht hat. Die Welt ist klein und die Waffel sehr lecker.
Im Flugzeug tippe ich diesen Text ins Handy und werde dreimal hintereinander von der Crew gefragt, ob ich den Flightmode aktiviert habe. Wie es sich wohl anfühlen würde, wenn ich jetzt auch mal völlig übertrieben reagieren würde und laut schreiend durch den Flieger rennen würde und so weiter. Ich verwerfe den Gedanken an ein Selbstexperiment ganz schnell wieder. Und schon lande ich in Rom, während Patrick bereits im Nachtbus nach Wien sitzt. Die Fahrt mit dem Bus vom Flughafen in die ewige Stadt dauert ganz schön lang. Und dann stehe ich zwar vor dem Hotel, es macht aber niemand auf. Ich schaue nochmal genau in das Kleingedruckte: Check-In bis 18:00 Uhr. Ach komm, das kann nicht ernst gemeint sein. Ist es aber. Auch das Hoteltelefon ist aus. Es hilft alles nichts, ich muss mir schnell was Neues zum Übernachten suchen. So komme ich noch zu einem ausgedehnten Nachtspaziergang durch Rom. |