Delhi - New Delhi Die Wetterapp meldet einen sonnigen Tag in Delhi, bei 25° C. Es sieht draußen aber aus wie ein Nebeltag in Ulm. Nur dass die graue Wand keine feuchte Luft ist, sondern Abgas. Ein ungutes Gefühl zu wissen, dass die eigenen Lungen die Funktion des Rußpartikelfilters übernehmen. Ich huste mich durch die Straßen Delhis. Man kann nicht weiter als 200 Meter sehen. Der Dunst verschleiert den Blick zum Himmel. Manchmal ist die Sonne als kleiner hellgrauer Punkt zu sehen, meistens nicht. Ich laufe viel zu viel und es beginnt in meiner Lunge zu stechen, so dass ich kurz frische Luft schnappen gehe - bei Starbucks. 30 Minuten Pause von Indien. Klimaanlage, Westmusik, der Frappuccino schmeckt und ich lese Zeitung - The Times of India. Etwas Weltpolitik, etwas Wirtschaft und dann ist da diese Statistik. In Indien sterben ungefähr 2000 Menschen an der Luftverschmutzung und alleine 1000 Kinder an verschmutztem Wasser - an jedem einzelnen Tag. Punkt zwölf bin ich mit Paul aus Missouri und Bhupinder aus London verabredet. Bhupinder gehört der Sikh Religion an und möchte uns einen großen Sikh Tempel in New Delhi zeigen. Sikhismus ist so ziemlich die jüngste Religion, knapp 500 Jahre alt. Es geht im Wesentlichen um die Abkehr von Askese, religiösen Ritualen und vor allem um die Gleichberechtigung aller Menschen unabhängig von Geschlecht, Herkunft, Religion und so weiter. Im Tempel gibt es ein heiliges Buch mit den Weisheiten des Lebens. Das Buch wird als lebendiges Wesen angesehen, weshalb es tagsüber auf einer Art Thron liegen darf und abends in seinem Schlafzimmer in ein Bett gelegt wird. Alle Textilien um und über dem Thron werden täglich gewechselt und auch sonst genießt das Buch uneingeschränkte Aufmerksamkeit aller Anwesenden. Jeden Morgen wird eine zufällige Seite im Buch aufgeschlagen und diese Weisheit ist dann die Lebensanleitung des Tages. In einem Nebengebäude gibt es eine riesige Küche, in der täglich bis zu 60.000 kostenlose Mahlzeiten an alle Menschen die vorbeikommen ausgegeben werden. Jeder kann beim Kochen mithelfen oder einfach nur essen. Noch viel abgefahrener ist der Akshardham Tempel. Vor 10 Jahren eröffnet, fühlt er sich an wie die Mischung aus Disneyland und Flughafen Check-In. Außerhalb der Innenstadt gelegen, mit riesigem Parkplatz, empfängt einen der Tempelkomplex mit aufwändiger Sicherheitskontrolle. Nach einer Sichtprüfung aller Sachen die man dabei hat, darf man zur Eingangsschleuse. Dort werden einem bis auf Kleidung, Geld und Reisepass alle Sachen abgenommen. Rucksack, Fotoapparat, Handy, Essen, Trinken und auch sonst alle losen Gegenstände müssen registriert werden um dann eingelagert zu werden. Dabei wird man fotografiert um sicherzustellen, dass niemand anderes die Sachen abholt. Dann anstehen zur Sicherheitskontrolle. Wir laufen durch den Metalldetektor und werden besonders gründlich abgetastet. Gürtel, Schuhe, Portemonnaie und Reisepass werden untersucht, dann sind wir auch schon drin. Wir müssen uns noch entscheiden, ob wir die Wassershow, die Lichtshow, den IMAX Film oder die animierte Bootsfahrt buchen wollen. Alles sehr aufregend, perfekt organisiert, makellos sauber und auch der Food Court ist prima. Nur Gläubige gibt es hier wohl nicht. In der „heiligsten” Mitte des Tempels, in der keine Gottheit sondern der Gründer des Tempels verehrt wird, kann ich nicht widerstehen: Ich ziehe schnell meine Geldbörse aus der Hosentasche und tue so, als ob ich ein Foto mache. Ich habe den imaginären Auslöser noch nicht gedrückt, da ist die Security schon da. Aber natürlich gibt es bei der allmächtigen und allwissenden Suchmaschine schöne Bilder vom Tempel. Meine Verehrung. Einmal noch schlafen und dann fliege ich zurück nach Deutschland. Ich freue mich schon sehr auf die saubere Luft. Von mir aus auch mit Nebel.
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Jodhpur - Delhi
An einem Affentempel möchte ich nur ganz kurz ein Foto machen. Die anwesende Schulklasse möchte allerdings mindestens eine Million Selfies mit mir machen. Und mit mir und ihrem Lehrer. Und zusammen mit dem besten Freund. Und mit der Freundin. Und mit allen zusammen (unmöglich). Und mit dem anderen Handy auch. Und noch eins ohne Schuluniformkrawatte... Es ist ein Wunder, dass ich nach all den Fotos noch rechtzeitig zum Flughafen komme. Air India bringt mich in die Stadt mit dem schlimmsten Smog weltweit. Delhi. Bei der Landung ist außer dem Asphalt der Landebahn nichts zu sehen, der Rest verblasst im grauen Dunst. Als die Flugzeugtüre geöffnet wird, riecht es sofort kräftig nach Abgasen. Die Luftwerte sind so schlimm, dass seit Jahresbeginn nur noch die Hälfte aller Autos fahren darf. Die letzte Zahl des Kennzeichens entscheidet. Heute dürfen alle Fahrzeuge fahren, die mit einer geraden Ziffer enden. Morgen sind die ungeraden Zahl dran. Ich buche mir am Flughafen ein Uber Auto und werde in der App dazu aufgefordert meine Fahrt mit einem weiteren Fahrgast zu teilen. Ich akzeptiere. Die Software findet einen Nutzer mit ähnlicher Route und der Fahrer sammelt uns beide ein. Mit zwei Klicks haben wir nicht nur der Stadt eine Autofahrt gespart, sondern sind auch noch günstiger davongekommen. Jodhpur - Osian - Thar Wüste Ich steige gerade mit Brian aus Boston aus dem Auto, als ein Kleintransporter an uns vorbeifährt. Auf der Ladefläche wird eine Kuh mit 5 Beinen zur Schau gestellt. Ein Kälbchen ist auch dabei. Kühe sind hier sowieso schon heilig und genießen Verehrung und Vorfahrt. Mit 5 Beinen dürfen sie sogar ausnahmsweise frisches Gras (und keinen Straßenabfall) fressen, werden beim Vorbeifahren angebetet und mit Spenden bedacht. In einer steilen Straße ist eine opulente Hochzeitsfeier im Gange. Die erwachsenen Damen sind alle gründlich aber durchaus glitzernd verschleiert. Der Boden ist übersät mit orangenen Blüten und überall hängen Luftballons und Girlanden. Ein paar Mädels proben auf der Straße für „India's next Topmodel” und ich soll den Kameramann machen. Na gut. Ich suche etwas Ruhe in der Wüste, weit entfernt von Jodhpur. Ashut ist 12 Jahre alt und wir reiten auf seinem Kamel Marek hinaus in die Thar Wüste. Spätestens nach der ersten Stunde Kamelritt habe ich für mich festgestellt, dass es bequemere Arten der Fortbewegung gibt. Ich bin mir nicht mal sicher, ob zu Fuß gehen nicht eventuell doch weniger anstrengend und etwa gleich schnell wäre. Trotzdem ist der Ritt beeindruckend. Abgesehen vom Atmen des Kamels ist nichts zu hören. Es ist so aufdringlich still, als ob die Welt abgeschaltet wäre. Niemand sonst ist in der Wüste zu sehen. Nur das Kamel, Ashut und ich. Es dauert lange, bis wir eine paar Hütten erreichen. Eine Straße gibt es nicht. Nur ein paar Ziegen, Hühner noch ein Kamel und ein paar Kinder, die mit einer alten Fahrradfelge spielen. Ashut zeigt mir das Haus seiner Familie und ich werde zum Tee eingeladen. Während ich Tee trinke, probiert Ashut meine Kamera aus, einer seiner kleinen Brüder testet meine Schuhe und seine Schwester zeigt, dass sie auf dem Kamelrücken balancieren kann. Als es weiter geht, wird mir gezeigt, dass Kamele auch galoppieren können. Das ist zwar noch unbequemer, dafür kommt man ordentlich voran. Zum Sonnenuntergang holt Ashut noch zwei seiner Freunde ab und dann sitzen wir zu viert auf der Sanddüne und warten auf den Sunset. Die Jungs summen vor sich hin: „No hurry, no worry, no chicken, no curry....” Weil die Sonne sich Zeit lässt, schauen wir uns auf meinem Handy ein paar Bilder und Videos von Deutschland an. Am meisten Aufregung verursachen die Fotos vom Schlittenfahren und Eislaufen.
Jodhpur „Das Haus der Treppen” hieß ein Buch, das mich in meiner Kindheit sehr gefesselt hat. Die Geschichte spielte in einem unendlich wirkenden Raum, der ausschließlich aus Treppen und Treppenabsätzen bestand. Diese Vorstellung war mir damals sehr unheimlich, was das Buch umso spannender machte. Heute, beim ziellosen Umherlaufen in Jodhpur, stehe ich unverhofft vor einem Abgrund, der ganz aus Treppen zu bestehen scheint, die sich ganz unten an einem Brunnen treffen. Ich fühle mich sofort in das Buch zurückversetzt und genieße den Nervenkitzel am Rand der Treppenabsätze. In meiner Fantasie erweitere ich den Treppenraum ins Unendliche. Im Mehrangarh Fort treffe ich Gabriel aus Paris wieder und wir schauen uns zusammen noch einen Grabtempel an, der aus so feinem Marmor gebaut ist, dass die Sonne etwas durch die Wände hindurchscheint. Den Palast der königlichen Familie der Gegend können wir nur eingeschränkt besichtigen. Zum einen ist der Palast (der einer der größten der Welt ist) noch von den Royals bewohnt, zum anderen ist auch ein Luxushotel in dem Gebäude untergebracht zu dem Normalsterbliche keinen Zutritt haben. Aber den historischen Fuhrpark des Maharajas können wir anschauen. Zwischen all den Rolls Royce steht auch ein Modell meines aktuellen Autos, ein Mercedes W123 aus den späten Siebzigern bzw. frühen Achtzigern. Am späten Nachmittag bin ich in einem Dachlokal mit schöner Aussicht der erste Gast und möchte nur schnell was trinken und ein paar Akkus laden. Dann habe aber doch ein fantastisches Essen und lerne Alexandra und Mitch aus New York City kennen. Wir haben sehr angeregte Gespräche über Indien, Armut, Reichtum, Altruismus, die Weltpolitik, Deutschland, USA, Donald Trump, den Iran, Flüchtlinge, Uber und so weiter. Als die Lichter am Fort im Hintergrund um 22:00 Uhr ausgehen, scheint das Lokal auch schließen zu wollen. Wir sind die letzten Gäste.
Pushkar - Ajmer - Jodhpur
Beim Zähneputzen berührt etwas mein Bein. Etwas mit Fell, das sehr schnell wieder verschwindet. Ich denke an eine Katze und schaue nach, wo sie geblieben ist. Ich staune nicht schlecht, als ich eine ganze Affenfamilie in meinem Zimmer erwische, wie sie gerade gewissenhaft überprüft, ob ich nicht etwas Essbares oder Spannendes im Gepäck habe. Ahhhh! Einmal Fußstampfen reicht und die Bande flieht durch die offene Zimmertür in den Innenhof. Meine Tür steht offen, da es ohne Außenfenster bei Stromausfall sehr dunkel im Zimmer ist. Der Strom ist hier mehrmals am Tag weg, unpassender Weise auch jetzt. Ich packe mit Handylicht im Halbdunkel schnell zusammen und hoffe, dass ich nichts übersehen habe. Mein Auto nach Ajmer wartet schon. Am Bahnhof Ajmer Junktion erfrage ich Wagen und Abteil meiner Reservierung. Da Züge oft viele Tage im Voraus ausgebucht sind, habe ich mir die Zugtickets im Voraus von Deutschland aus online besorgt. Klingt einfach, ist es aber nicht. Eine ausführliche Anleitung für den Fahrkartenkauf aus dem Ausland gibt es in diesem ausgesprochen hilfreichen Blog: seat61.com/india Der Schlafwagenschaffner upgraded meine Reservierung nochmals zu einem Doppelabteil, das ich ganz für mich alleine habe. Es gibt zwei Betten, einen Kleiderschrank, sieben verschieden Beleuchtungsmöglichkeiten und zwei gerahmte Kunstwerke mit der Überschrift „Romance of the Railway". Ich probiere alle Beleuchtungsoptionen aus, bis ich mit der Eisenbahnromantik zufrieden bin, muss aber bemängeln, dass man aus dem Abteilfenster überhaupt nicht hinausschauen kann. Scheinbar ist es sehr gründlich mit Sandseife geschrubbt wurden. Auch die innere Kunststoffscheibe. Ich muss die Fahrt mit Google Maps und Bildersuche visualisieren... Pushkar Um 6:15 morgens bin ich mit Sabine aus Sydney verabredet. Wir wollen zusammen zum Sonnenaufgang einen Tempelberg besteigen. Vor Sabines Hotel warte ich vergebens. Nach einer Weile, beschließe ich den Aufstieg alleine zu machen und ich genieße die frische Luft hoch über der Staub- und Abgasschicht der kleinen Stadt. Ich bin ganz alleine am Tempel, als die Sonne es über den Horizont schafft und den Himmel für kurze Zeit rosa und orange färbt. Zum Frühstück bin ich wieder in Pushkar und treffe Sabine zufällig im Café am See. Es dauert einen Moment, bis wir herausfinden, warum wir uns heute Morgen verpasst haben. Unsere Uhren gehen 30 Minuten unterschiedlich... Wir verabreden uns noch für das Abendessen (mit Uhrenvergleich) und dann mache ich eine Ausfahrt mit meinem Mietroller. Inzwischen bin ich ganz gut im Fahren auf Sand und ich traue mich etwas abseits der asphaltierten Straße zu fahren. Ich finde eine verlassene Ruine auf einem Berg (schön) und eine Müllkippe, an der Kinder und Kühe auf teils brennenden Müllbergen herumlaufen (nicht schön). Die Kühe fressen den Abfall und die Mülltüten gleich mit und die Kinder suchen nach Kunststoffflaschen und Essbarem. Es qualmt und stinkt ganz erbärmlich und ich kann gar nicht so lange hinsehen.
Pushkar Ich starte ausgeschlafen in das neue Jahr bei einem ausgiebigen Frühstück mit Gabriel aus Paris. Wir reden über Reisen, das Arbeiten im Ausland und beschließen uns in ein paar Tagen in Jodhpur wiederzutreffen. Pushkar ist mir zu klein und ich miete mir einen Motorroller um etwas hinaus in die Berge zu kommen. Das Schwierigste dabei ist, mit dem Zweirad erstmal durch die Fußgängerzone zu fahren. Da gibt es nicht nur Fußgänger, sondern auch eine Menge Kühe, Schweine, Wildschweine, Affen, Hunde und Motorräder. Die Rangfolge ist klar: Zuerst die Kühe, dann lange Zeit nichts, dann alles mit Hupe, die Menschen und schließlich der Rest der Tiere. Zuerst versuche ich auf das Hupen zu verzichten, sehe aber ein, dass das zwar höflich aber viel zu gefährlich ist. Nachdem ich auch die Zeltstadt der Nomaden hinter mir gelassen habe, wird es entspannt. Ich muss lediglich auf die erbarmungslosen Bremsschwellen und die Löcher in der Straße achten, sonst ist alles relativ frei. Auf den nächsten Kilometern lerne ich, dass Schafherden berechenbarer sind als Ziegenherden, dass Kamele schreckhaft sein können, dass es ganz schön schwierig ist mit einem Roller auf lockerem Sand zu fahren und dass hier alle Menschen winken, wenn sie einen Nichtinder sehen. Dass das Standlichtlein am Moped zwar funktioniert, aber alles andere als ein Scheinwerfer ist, merke ich leider erst nach Sonnenuntergang. Ich bin hin und hergerissen zwischen beschleunigter Fahrweise um im letzten bisschen Tageslicht noch möglichst viel von der Rückfahrt hinter mich zu bringen und extra langsamem Tempo, wegen mangelnder Sicht auf Löcher, Schwellen, Tiere und Sandverwehungen. Am Ende binde ich mein Handy als Lampe mit meinem Gürtel und etwas Pflaster auf den Tacho und komme mir vor wie MacGyver. Zumindest sehe ich damit mein Vorderrad ganz gut.
Jaipur - Ajmer - Pushkar Für die Zugfahrt nach Ajmer habe ich mir die First Class gegönnt. Ich sitze bei einer Gruppe gelangweilten Manager. Im Nachbarabteil sitzt eine Familie, alle im Schlafanzug, die zwei Jungs tragen Nike Turnschuhe dazu. Sandeep und sein kleiner Bruder sind 10 und 7 Jahre alt, kommen vorbei und bieten mir Oreos an. Die Kekse sind etwas zerkrümelt, trotzdem lecker. Sandeep führt mir sein iPhone vor. Das selbe Modell, das ich habe. Er schlägt einen Gerätetausch vor, um gegenseitig unsere Musik probezuhören. Gute Idee. Ich höre mich durch Hindi Hip Hop und etwas was ein Hörspiel zu sein scheint. Die beiden sind jetzt bei „Sun goes down” von David Guetta und so. Das kennen sie offensichtlich und können ein bisschen mitsingen. Danach: „Peanut Butter Jelly“. Dazu wird wild getanzt. Jetzt haben sie „Atemlos durch die Nacht“ gefunden. Das ist wirklich auf meinem Handy? Welche Sprache das ist, will Sandeep wissen. Deutsch. Und es bedeutet soviel wie „Breathless through the night.“ Nein, nicht „breastless... !“ Ich verpasse beinah das Aussteigen und falle etwas hektisch aus dem Zug. Klick, zoom, tipp, klick, 4 Minuten warten, pling, Uber Auto ist da. Die Fahrt nach Pushkar dauert kurze 30 Minuten und ich checke das letzte mal für 2015 in einem Hotel ein. Pushkar ist ein kleiner aber wichtiger Pilgerort für Hindus rund um einen heiligen See. Im ganzen Ort sind Fleisch, Eier und Alkohol tabu. An den See darf man nur barfuß.
Ich gedenke den heutigen Silvesterabend mit gutem Essen und etwas Gesellschaft zu verbringen. Das Sunset Café am See scheint der richtige Ort dafür zu sein. Hier treffen sich die Touristen, um das neue Jahr zu feiern. Als das erste Feuerwerk der Australier losgeht, ist es gerade mal ausreichend dunkel geworden. Ich spreche ein kleines Grüppchen Leute an. Die meisten sind aus Deutschland und das Thema kommt schnell auf die abgesagten Silvesterfeiern in Brüssel. Dann wird es sehr politisch und mir zu blöd. Ich verdrücke mich ans Büffet. Ich esse ganz alleine und fühle mich das erste mal auf Reisen auch so. Ich tippe ein paar Silvestergrüße im mein Handy und bestelle noch einen Masala Tee. Am Nachbartisch schweigen sich ein paar Rentner an, was bei den wummernden Bässen nicht weiter auffällt. Ich überlege wieder zurück ins Hotel zu gehen und das mache ich dann auch. Mein Handyakku ist leer und ich habe ernsthafte Schwierigkeiten meine Unterkunft ohne Google wiederzufinden. Um halb zwölf will ich dem Abend noch eine Chance geben und lerne auch prompt am See ein nettes Pärchen aus Frankreich kennen. Pierre arbeitet für Volkswagen in Paris und wir beschließen das Jahr mit ein paar Abgasskandalwitzen. Um Mitternacht gibt es ein kleines Feuerwerk und einen großen Applaus. Die Inder hüpfen herum und machen Happy New Year Selfies. Wir gehen nochmal eine Runde am Büffet entlang und ich esse viel zu viel vom Kardamom Reispudding. Der ist aber auch gut. Ich wünsche euch allen ein friedliches, glückliches und gesundes Jahr 2016! Jaipur Heute probiere ich aus, wie gut „Uber” in Indien funktioniert. Ich schaue auf meinem Handy wie weit entfernt der nächste Fahrer ist. Das nächste Auto könnte mich in 3 Minuten abholen. Super. Als Ziel gebe ich "Amber Fort" ein. Bis zur Festung würde die Fahrt ca. 40 Minuten dauern. Geschätzter Fahrpreis 140 Rupien (2.- €). Ich drücke „Fahrt buchen”. Das Auto nähert sich auf der Karte der App und habe grade noch Zeit mir die Schuhe anziehen und vor die Tür zu gehen, da kommt der Wagen auch schon. „Johannes?” „Yes, good morning.” Das Auto ist schön klimatisiert, ich darf mir die Musik aussuchen und der Fahrpreis muss nicht verhandelt werden. Fast zu gut. Das Amber Fort ist beeindruckend groß und wie ich jetzt erkenne, wurden einige Szenen im gestrigen Film hier aufgenommen. Am Mittag schlendere ich durch ein Viertel Jaipurs, in dem Marmorskulpturen hergestellt werden. In jedem Hinterhof sitzen Männer auf dem Boden und bearbeiten das weiße Gestein mit Hammer, Meißel und Winkelschleifern. Als Vorlage dient meist ein kleines Bild, dass sie vor sich liegen haben. Es ist ganz unglaublich, was für Kunstwerke hier entstehen. Am Abend bin ich mit James verabredet, wir wollen gemeinsam zum Sonnentempel aufsteigen und uns dort den Sonnenuntergang anschauen. James verspätet sich, er steckt mit seiner Rickshaw im dichten Verkehr fest. Also hänge ich eine Weile vor dem Treffpunkt Galta Gate herum und falle auf. Zuerst lerne ich Sanjit kennen, der ist 11 Jahre alt, zeigt mir seine Kuh und den Laden seines Papas. Danach spiele ich mit den jungen Männern vom Obststand eine Runde „Bananenstrunkwerfen”. Schließlich kommt ein großer, bärtiger Mann auf mich zu, der meint ich würde aussehen wie halb indisch, halb deutsch. Ich bin beeindruckt, ganz gut geschätzt. Er mustert mich und fragt, ob meine Mutter aus Norddeutschland ist und mein Vater aus Indien. Hmmm, na das stimmt auch so einigermaßen. Mein Vater ist zwar in Malaysia aufgewachsen, seine Familie ist aber aus Indien eingewandert. Er fragt nach dem Namen meiner Mutter. „Christine.“ Da möchte er nochmal nachhaken, ob sie nicht vielleicht doch Monika heißt und in Kiel wohnt. Nein, da bin ich mir ganz sicher. Er hat einen Sohn in Deutschland, den er sucht aber nicht finden kann. Ich hätte ja fast gepasst. Wir unterhalten uns eine ganze Weile und tauschen uns aus, wie es so ist, seinen Sohn, bzw. seinen Vater nicht zu kennen. Ich gebe ihm noch den Tipp, dafür zu sorgen, dass man ihn leicht bei Google finden kann, den Rest würde die Zeit schon zeigen. James taucht auf und wir steigen zwischen all den streunenden Kühen, Schweinen und Affen zum Tempel hinauf. Nach einem ausgesprochen leckeren Abendessen, stehe ich an der Straße und klicke mir ein Uber Auto herbei. Diesmal muss ich 7 Minuten warten und die drei Straßenjungs wundern sich, warum ich hier so am Straßenrand herumhänge. Direkt neben uns ist ein kleiner Stand, der Essen kocht. Ich spendiere den Dreien ein Essen und versuche Uber zu erklären. Das ist nicht ganz einfach, weil sie kein Englisch sprechen. Wir machen noch ein bisschen Blödsinn mit einer Weihnachtsmannmütze und den Luftballons und dann kommt mein Wagen. Ich frage mich, ob die Jungs wissen wo ihre Eltern sind, wenn sie denn noch welche haben.
Jaipur In Jaipur gibt es einen schönen Königspalast, den Palast der Winde, einen astronomischen Park und die ganze Altstadt ist Pink. Alles ganz toll, aber mein Highlight des Tages ist das Rajmandir Kino. Zusammen mit James aus London schaue ich mir einen sensationellen Hindi Streifen an. Die Show beginnt schon vor dem Kino. In den großen Saal passen 1500 Zuschauer und es gibt einen Ticketschalter für Frauen und einen für Männer. Wir stehen 45 Minuten an, haben dafür aber schöne Plätze hinten in der Mitte. Es gibt normale Plätze, Logenplätze, Premium Logenplätze und Diamant Deluxe Logenplätze. Das Kino ist sehr edel und heute ganz ausgebucht. Das Publikum ist begeisterungsfähig und klatscht kräftig als der Film beginnt und der Hauptdarsteller seinen Auftritt hat. Wir verstehen zwar kein Wort, die Handlung ist aber leicht zu erkennen. Es geht um die Geschichte Indiens, um große Schlachten und natürlich verliebt sich der Ritterheld unsterblich. Als in einer Schlüsselszene der Held ganz alleine auf seinem Ross eine Festung angreift, wird das Publikum richtig wild. Die Szene ist aber auch dramatisch: Der Herrscher der Festung schießt den ersten Pfeil gegen den Helden ab. Dieser fängt den Pfeil gekonnt aus der Luft und ist jetzt richtig sauer. Das Publikum ruft: "Uh, uh, uh, uh!" Ungefähr 1000 Kämpfer der Festung feuern nun gleichzeitig ihre Pfeile gegen den einsamen Helden ab. Eine Wolke aus Geschossen nimmt Kurs auf Reiter und Pferd. Das Publikum brüllt: "Buuuuh, buuuuuuuuh, buuuuuuuuuuhhhhhh!" Es funkelt in den Augen des Reiters, er zieht beidhändig zwei Schwerter heraus und beginnt mit diesen in geschätzter Lichtgeschwindigkeit die Pfeile in Hobelspäne zu zerlegen. Das muss in Zeitlupe und kreisender Kamera gezeigt werden. Die Zuschauer johlen: "Yaaaayyyyy!" Applaus! Die gesamte Armee und ihre Anführer werden vom Helden vernichtet und sein Gefolge trifft auch endlich ein - gerade noch rechtzeitig um beim Tanz des Triumphes mit einzusteigen. Zwei Stunden Film sind vorbei und wir werden in die Pause entlassen.
Varanasi - Jaipur Den Rollkoffer durch die schmalen Gassen zu ziehen, dauert ganz schön, weil ich das Ding bei jedem Kuhfladen hochheben muss. Manchmal versuche ich auch, den Koffer auf ein Rad gekippt über die grünbraune Masse zu manövrieren. Sehr riskant. Ich hab mich beim Lunch total verquatscht und bin jetzt etwas in Eile. Der Flughafen ist eine gute Autostunde von der Altstadt Varanasis entfernt. Auf der Hauptstraße stelle ich fest, dass weit und breit kein Taxi zu sehen ist. Nur Fahrrad- und Mopedrickshaws. Mist, die brauchen alle viel zu lange bis zum Airport. Lange Zeit um nach einem Taxi zu suchen habe ich aber auch nicht. Ich starte also die Preisverhandlung mit einem Mopedrickshaws Chauffeur. Dazu muss ich mich natürlich sehr gelassen geben, Zeitdruck wirkt sich immer ganz ungünstig auf Verhandlungen aus. Ich schaue also gelangweilte in die Rickshaw und frage beiläufig nach dem Preis zum Flughafen. Ich bekomme den dreifachen Taxipreis gennant und bekomme einen Lachanfall. Mein Gegengebot ist ebenfalls lächerlich. Wir schütteln gegenseitig die Köpfe über so viel Dreistigkeit. Jetzt kommen die Argumente, warum ein Taxi zwar schneller und bequemer ist, die Rickshaw aber teuerer sein muss. Straßengebühren, teureres Gas und so weiter. Ich behaupte zu wissen wo die Taxis sind und kündige an, dann lieber dorthin zu gehen. Der Preis fällt ein kleines Bisschen. Ich erhöhe mein Gebot ebenfalls ein wenig. So geht das eine gefühlte Ewigkeit hin und her. Die Zeit läuft mir davon. Endlich sind wir beim Taxipreis angekommen. Ich ziehe nochmal 50 Rupien ab und halte gleich die Hand hin. Deal. Und jetzt muss ich mit der ganzen Wahrheit rausrücken. "How fast can you go? I'm terrible late!" Das hätte ich mal besser nicht gesagt. Was die Kiste an Geschwindigkeit nicht hergibt, holt der Fahrer mit waghalsigen Überholmanövern und haarsträubenden Abkürzungen über Fußwege und Geröllstreifen wieder heraus. Bis wir die Innenstadt verlassen, haben wir zwei Motorräder gestreift und eine Frau um ein halbes Haar angefahren. Die Hupe allein reicht dem Fahrer nicht, an einer Kreuzung versucht er ein Auto vor uns anzuschieben. Den Autofahrer stört das noch nicht mal. Wir bremsen eigentlich nie, sondern hupen uns den Weg frei. Bis drei Kühe die Fahrbahn kreuzen. Alles hält, niemand hupt. Die Kühe haben es nicht eilig. Es dauert eine Weile, bis wir den Verkehr von der Gegenspur gedrängt haben und uns dicht aber berührungslos an den Kuhhintern vorbeigeschummelt haben. Gerade noch rechtzeitig und mit viel Staub im Gesicht komme ich im Terminal an. Die Reisverschlüsse meines Gepäcks werden mit Kabelbindern so versiegelt, dass ich mir abends im Hostel in Jaipur erst mal eine Schere organisieren muss um an meine Sachen zu kommen.
Mit ein paar Indern und einem Pärchen aus Russland sitze ich am Lagerfeuer auf dem Hausdach. Direkt neben dem Haus verläuft die Bahnlinie und die Züge hupen sich die Gleise frei. Natürlich sind Zughupen viel lauter als Rikshaw und Autohupen. Varanasi Eine halbe Stunde vor Sonnenaufgang sind die Gassen noch wie ausgestorben. Ich treffe mich mit Brandon und Hannah am Munshi Ghat. Wir wollen den Sonnenaufgang von Boot aus sehen. Am Ufer des Ganges erwacht langsam das Leben, als wir über das ruhige Wasser tuckern. Hauptsächlich Yoga Grüppchen bevölkern die Stufen. Manchmal klingt es, als würde uns die halbe Stadt auslachen. Eine Übung beim Lachyoga ist es, solange künstlich laut zu lachen, bis draus ein echtes Lachen wird. Jedenfalls überträgt sich die gestellte Heiterkeit auf uns und das sogar in echt. Wenn du ein Grundschüler bist, lies bitte diesen Abschnitt nicht weiter. Du kannst im nächsten Abschnitt weiterlesen. Das meine ich ernst. Nach der Bootsfahrt laufen wir am Ufer entlang, bis wir zu einem der Burning Ghats kommen. Große Mengen Holz sind hier gelagert und es brennen mehrere Feuer. Dies ist der Ort, an dem die Familien ihre Toten verbrennen lassen. Wir haben uns nicht abgesprochen, ob wir hier wirklich herumlaufen wollen. Aber jetzt sind wir da und alles wirkt so unwirklich und alltäglich zugleich, dass wir gar nicht anders können als hinzusehen. Die männlichen Familienmitglieder stehen dicht um die brennenden Holzhaufen. Männer und Kinder helfen die Feuer in Gang zu halten. Einer der Männer winkt uns zu sich. Wir sollen zum Feuer kommen. Aus dem Feuer ragen die nackten Beine des Verstorbenen heraus. Wir sollten nicht hier sein, es fühlt sich falsch an. Andererseits gehört der Tod zum Leben und das Leben findet hier sehr öffentlich statt. Die Familie des Dahingeschiedenen scheint sich an uns nicht zu stören. Es sind ungefähr 15 Männer. Das Feuer wärmt und Funken steigen auf, als ein dicker Holzscheit abrutscht und die Beine des Toten abbrechen. Jemand benutzt zwei Bambusstäbe um die Körperteile wieder zurück ins Feuer zu legen. Einer der Brennmeister erklärt uns, dass das Verbrennen drei Stunden dauert und die Reste zum Wasser des Ganges gebracht werden. Das Feuer reinigt die verstorbenen Seelen und trennt sie von ihrem irdischen Körper. Verstorbene Kinder und Priester werden nicht verbrannt, sie sind rein und werden dem Ganges direkt übergeben. Sie werden an Steine gebunden und im Wasser versenkt. Manchmal tauchen sie nach einer Zeit wieder auf. Auf einmal bin ich mir nicht mehr so sicher, ob die Puppe, die wir vor Sonnenaufgang im Ganges haben treiben sehen, wirklich eine Puppe war. Wir reden kein Wort und starren in die Flammen. Wenn man jetzt nicht über den Kreislauf des Lebens nachdenkt, wann dann? Hier kannst du wieder weiterlesen, egal wie alt du bist :-). Brandon und Hannah beschließen noch etwas Schlaf im Hotel nachzuholen und ich laufe weiter am Flussufer entlang. Ich laufe stundenlang und brauche am Mittag eine kleine Pause und setze mich mit einem Tee auf eine Bank am Wasser. Amir ist 14 Jahre alt und setzt sich zu mir. Ich bin mir sicher, er will mir etwas verkaufen und so ähnlich ist es auch. Fairerweise sage ich gleich zu Beginn, dass ich mich gerne mit ihm unterhalte, aber nichts kaufen werde, was auch immer es sein wird. Ich habe dafür eine sehr überzeugende Begründung, die so gut ist, dass sie mein Geheimnis bleibt. Amir versteht, bleibt aber trotzdem. Wir tauschen Lebensgeschichten und er erzählt von seinem Vater, der ein Ruderboot besitzt und von seiner Schule. Er möchte auf eine bessere Schule gehen und versucht darum Geld zu verdienen, in dem er Touristen in Geschäfte lockt und dafür eine kleine Provision erhält. Ich frage ihn, wie viel Geld er braucht und wieviel er verdient. Das sein Vorhaben hoffnungslos ist, falls es die Wahrheit ist, sieht er nicht. Oder doch. Er fragt mich recht unverblümt, ob ich ihn adoptieren würde. In Deutschland wären gute Schulen kostenlos, soviel weiß er. Außerdem kann er schon ein wenig Deutsch. Dazu fällt mir keine so wahnsinnig originelle Ausrede ein, trotzdem nein. Amir behauptet, er würde auch Provision verdienen, wenn ich einen Laden nur anschauen aber nichts kaufen würde. Das glaube ich zwar nicht, trotzdem lasse ich mich in einen Stoffladen führen und sei es nur, um mich in höflich aber bestimmter Konversation zu üben. Die Stoffe sind schön, der Ladenbesitzer ein Meister der Rhetorik und wir diskutieren die Möglichkeiten durch, warum ich vielleicht doch etwas kaufen sollte. Ich verlasse den Laden ohne Stoffe aber mit einem enttäuschten Amir. Ob ich ihn nicht doch adoptieren könnte, fragt er. Please! I am a good kid. Please! You have a good heart. Am Abend philosophiere ich bei einem Lassi gemeinsam mit Dan aus New York City über das Kastensystem. Abseits der Metropolen bestimmt im hinduistischen Indien die Kaste in der man geboren wird, welcher Tätigkeit man später nachgehen kann, ob man es zu Wohlstand bringen wird und in welche gesellschaftliche Schicht man heiraten kann. Das klingt überholt und erzeugt in unserem Kulturkreis Kopfschütteln. In unserem Grundgesetz heißt es: "Die Würde des Menschen ist unantastbar" und dass sich das deutsche Volk zu unverletzlichen Menschenrechten bekennt, als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt. In der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung wird das "Recht auf das Streben nach Glück" postuliert. Wie werden wir alle in Zukunft damit umgehen, dass die Welt eher wie das Kastensystem funktioniert, die Geburt bestimmt in welchem Land unter welchen Voraussetzungen ein Mensch sich entwickeln kann? Wir leben in einer globalisierten Welt und profitieren von weltweitem Handel und ungleicher Verteilung von Wirtschaftskraft und Entwicklungsstand. In welchem Maße werden wir das Streben nach Glück anderer respektieren, wie weit werden wir gehen um die Würde der Menschen in der Welt zu schützen und wie ernst meinen wir es mit der Gerechtigkeit in der Welt? Wenn wir uns keine Gedanken darüber machen, sind wir wenig fortschrittlicher als die obere Kaste. Noch ein Lassi, bitte.
Mumbai - Varanasi Die Sonne geht auf und ein neuer Tag beginnt, als ich mich gerade in der Boing 737 angeschnallt habe, die mich nach Varanasi bringen wird. Die Airline nennt sich SpiceJet und ihr Slogan lautet: Red. Hot. Spicy. Ob das ein treffender Spruch für eine Fluglinie ist, darüber lässt sich streiten, zum Bordmenü passt es jedenfalls. Die Kichererbsen sind sehr hot und ausgesprochen spicy. Mit an Bord sind Brandon und Hannah aus Australien. Wir haben uns gestern in Mumbai kennengelernt und nun sind wir unterwegs in die heilige Stadt am Ganges. Varanasi ist eine der wichtigsten Pilgerstätten im Hinduuniversum. Ein Bad im Ganges erlöst von allen Sünden des Lebens und an diesem Ort zu sterben bietet die Gelegenheit aus dem Kreislauf des Leidens des Lebens und der Wiedergeburt auszubrechen. Abends kommen die Pilgerer am Ufer des Ganges zusammen um an der großen Zeremonie teilzunehmen, bei der eine Stunde ununterbrochen große und kleine Glocken geläutet werden. Die Zermonienmeister bedienen sich vieler rauchender oder brennender Objekte, die unter sich wiederholenden Gesängen (und Glockenläuten) geschwenkt und präsentiert werden. Je später der Abend, desto größer werden die Flammen, mit denen hantiert wird, bis am Ende der Boden mit großen Haarbüscheln rituell gereinigt wird. Tausende Hindus sitzen in Holzbooten auf dem Ganges oder auf den Stufen der Ghats um der Zeremonie beizuwohnen. Bei der Gelegenheit werden alle Anwesenden persönlich gesegnet, mit einem roten Punkt auf der Stirn markiert. Bis auf die vielen Smartphonedisplays, die das Geschehen filmen und etwas LED Dekoration hier und da, gibt es kaum Hinweise darauf, in welchem Jarhundert wir uns befinden. Nach einer Stunde hat das pausenlose Geklingel ein Ende, was auch eine Art Erlösung ist. Auf dem Heimweg stehen immer wieder Kühe mitten auf dem Weg. Geduldig strömen die Massen an Menschen und Mopeds um die Tiere herum, die Kühe gelten als heilig und niemand würde es wagen sie anzuhupen oder von der Straße zu drängen. Die Kühe ertragen den Trubel um sie herum mit stoischenr Ruhe. Sie fressen in den Straßenecken etwas Abfall und hinterlassen überall ihre Fladen, denen man versucht auszuweichen. Nicht immer klappt das.
Dharavi, Mumbai Einer meiner Lieblingsfilme, Slumdog Millionaire, wurde zum großen Teil in Dharavi gedreht. Dharavi ist mit einer Million Einwohnern, der größte Slum Mumbais. Der Film von Danny Boyle räumte 2008 gleich acht Oskars ab und spaltete die Einwohner Dharavis. Einerseits brachte der Film den Slum mit eindrucksvollen Bildern auf die große Leinwand, andererseits fühlten sich einige durch die Darstellung im Film auf Armut und Elend reduziert. Auch der Filmtitel stieß einigen übel auf. "Wir sind doch keine Hunde, keine Slumdogs!" Dharavi ist eine funktionierende Stadt in der Stadt. Es gibt Geschäftsviertel, Wohnviertel und einen Industriebereich. In Lezterem werden bespielsweise Kunststoffe recycelt. Kleinbetriebe kaufen Kunststoffschrott für ca. 30 Rupien pro Kilo ein, trennen und zerlegen diesen, behandeln die Teile chemisch, schmelzen alles farblich sortiert und schreddern die entstandenen, ausgekühlten Kunststränge in kleine Pellets, die sie für 70-80 Rupien online handeln. Auf den Dächern der Häuser werden die Kunststoffteile gelagert und getrocknet. Andere Betriebe recyceln Farbdosen und -eimer. Die Metallkübel werden über dem Feuer erhitzt, dann können die heißen Farbreste leichter abgeschabt werden und auch die Außenbeschichtung kann abgetragen werden. Übrig bleiben silberne Kübel, die wieder an die Farbchemiewerke zurückverkauft werden können. Im Lederviertel werden die Tierhäute chemisch behandelt und verarbeitet. Am Ende stehen die fertigen Handtaschen von Michael Kors und Prada in den Regalen. Keine Fälschungen. Irgendwie hat jede Tätigkeit hier mit giftigen Chemikalien oder giftigen Abgasen zu tun. Die Lebenserwartung beträgt hier 55 - 60 Jahre. Auch Töpferbetriebe produzieren eine Menge Abgase, die durch alle Gassen ziehen. Meine Lunge schmerzt. Auf der Suche nach einer Schule verlaufe ich mich hoffnungslos und das ausgerechnet zur Zeit des Mittagsgebetes. Egal durch welchen schmalen Gang ich auch komme, immer stoße ich auf eine Gruppe Männer die betend auf den breiteren Gassen sitzt oder kniet. Da kann ich natürlich nicht durchlaufen. Als eine verschleierte Frau an mir vorbeihuscht, beschließe ich ihr so unauffällig wie möglich zu folgen. Sie kennt bestimmt den Weg aus diesem Labyrinth heraus. Leider tut sie das nicht. Immer wieder dreht sie abrupt um, wenn sie wie ich auf die Männergruppen trift. Irgendwann verschwindet sie in einem Hauseingang und ich bin wieder auf mich allein gestellt. Mir bleibt nichts anderes übrig, als eine dunkle Gasse zu nehmen, die so schmal ist, dass ich die Schultern längs drehen muss, und die gleichzeitig als Abfluss dient. Der nasse Weg endet am Fluss. Ich balanciere über dem Fluss an einem Absatz entlang, der um eine Hauswand führt. Das Wasser des Flusses ist kaum zu sehen, die Oberfläche ist von einer dicken, stinkenden Schicht aus Müll, Plastiktüten, Schaum und undefinierbaren Brocken bedeckt. Ich mache kein Foto. Einen Hare Krishna Tempel zu besuchen, ist ein buntes Erlebnis. Es gibt überall grelle Bilder, farbenprächtige Dioramen und immer ist der Sing-Sang der Gläubigen zu hören. Vor dem eigentlichen Tempel gibt es kostenlose Bücher und kostenloses Essen. Ich wähle das Essen und das ist schon mal nicht schlecht. Und bunt. Das Internet verändert alles, habe ich im Slum jemand sagen hören. Das gilt auch für Reisende. Sich nur auf kostlose Wi-Fi Hotspots zu verlassen, kann einiges an Zeit kosten, wenn man seine Reise flexibel und eher spontan angeht. Deshalb habe ich einen kleinen SIM Karten WLAN Router dabei. So kann ich meine deutsche Karte im Handy lassen und trotzdem unterwegs günstig ins Internet. Dazu brauche ich eine indische Daten-SIM-Karte. Die ist nicht ganz einfach zu bekommen. Man braucht mehrere Formulare, Reisepasskopien, Visakopien, zwei Passbilder, einen Bürgen in Indien, eine Adresse in Indien und eine indische Handynummer eines Bürgen. Dann muss man die Karte mit einem Anruf aktivieren, was mit dem Minirouter nätürlich nicht geht und in mein Handy passt die große Karte nicht rein. Ohne die Hilfe von Jamal, der einen Handyshop betreibt, der so groß ist, wie mein Kleiderschrank aber zwei Angestellte hat, hätte ich das nie geschafft. Jamal hat sich gestern um meine Papiere gekümmert und ist heute für die Aktivierung der Karte extra nochmal kurz zu seinem Shop gekommen, obwohl er heute eigentlich als Feuerwehrmann arbeitet. Ich teile meine vorletzten Weihnachtsplätzchen mit ihm und bin danach online.
Mumbai Taxifahren ist in Mumbai (Bombay) zwar irrsinnig billig, aber S-Bahn fahren macht mehr Spaß und ist oft schneller. Es ist zwar nicht so, dass die Menschen klischeehaft dauernd auf den Zügen und außen an den Zügen mitfahren, aber ordentlich voll wird es schon. So kommt man sich näher. Neben mir sitzt ein pensionierter Werftarbeiter, der während der Fahrt alles über Deutschland ganz genau wissen will. Kurz vor der Endstation ist es so voll, dass wir uns nur noch durch die Ellenbogenbeuge eines anderen hindurch unterhalten können. Die Türen der Bahn sind während der Fahrt immer offen, was zusammen mit den vielen Ventilatoren die Klimaanlage ersetzt. In Mumbai gibt es viel zu sehen, und ich laufe viel zu viel. 21 km Fußweg hat mein Handy am Ende des Tag gezählt. Eigentlich wollte ich mir einige interessante Gebäude anschauen, aber die Menschen und der Verkehr sind viel interessanter. Auf einem großen Grasplatz mitten in der Stadt finden gleichzeitig so viele Fußball und Kricket Spiele statt, dass es mich wundert, dass ich noch keinen Ball an den Kopf gekriegt habe. Es ist Heiligabend und mein Plan war, mir am Abend gemütlich einen Ort mit Tannenbaum zu suchen und dort ein bisschen Weihnachten zu machen. Allerdings feiern die Muslime der Stadt den heutigen Geburtstag Mohammeds deutlich auffälliger, als die Christen Weihnachten. Und so kommt es, dass ich nur kurz in der Kirche der Heiligen Familie vorbeischaue, mich für einen Moment in die Messe setze, dann aber doch wieder bei den silbernen Pferdekutschen, und den langen Paraden der Muslime dabei bin. Der Bummel an der Strandpromenade mach den Tag auch nicht viel weihnachtlicher. Es ist heiß und ich trinke eine Kokosnuss. Als die Sonne untergegangen ist, füllt sich der Strand mit Familien die picknicken. Baden geht niemand, das Wasser ist giftig. Aber dann wird es doch noch sehr weihnachtlich. Ich bekomme Besuch von Singh und Sangh (oder so ähnlich), den zwei Weihnachtsmännchen. Ich frage die beiden ob sie wissen was ihre roten Mützen bedeuten. Blöde Frage, natürlich wissen sie das. Das ist die Mütze des Weihnachtsmanns, der lebt in New York und beschenkt dort die Kinder. Ich bewundere Singhs Sicherheitsnadel im Ohr und erzähle, dass es in Deutschland Bären mit Knopf im Ohr gibt. Viel interessanter sind aber die Weihnachtsplätzchen die vor mir im Sand stehen. Ich spendiere eine Runde Kekse und weil sie so gut ankommt noch eine Runde. Und noch eine. Der Hauptbahnhof in Mumbai verdient den Namen Verkehrskathedrale und ist nachts bollywoodmäßig beleuchtet.
Frankfurt - Paris - Mumbai
Nach einer kurzen Nacht in einem Flughafenhotel in Frankfurt, stelle ich fest, dass der Airport Supermarkt erst um 6:00 Uhr aufmacht. Super. Da ich gerade keinen halben Liter Parfüm, keinen ganzen Liter Vodka und auch keine 900 g Toblerone brauche - obwohl Toblerone..., egal - bringt mir der Dutyfreeshop wenig. Der hat rund um die Uhr offen. Der Ganzkörperscanner an der Sicherheitsschleuse markiert auf dem Bildschirm einen Bereich an meinem Bauch mit einem gelben Viereck. Ich sage dem Beamten, dass ich genau da Schmerzen habe, ob er mich da mal untersuchen könnte. Das Hummercroissant von gestern liegt mir scheinbar quer im Bauch. Der Beamte versteht überhaupt keinen Spaß und ich bekomme nicht nur eine Spezialabtastung, sondern darf auch meinen ganzen Rucksack auspacken und mit zum Sprengstoffscanner kommen. Den kurzen Hops nach Paris verbringe ich im fast leeren Airbüsschen. Es sind nicht viel mehr Fluggäste als Kabinenpersonal an Bord. Die Crew ist ausgesprochen gut gelaunt und hat Zeit für Smalltalk und versteht sogar Spaß. Es hat etwas von Familienausflug. Ich mag die Architektur am Flughafen Charles de Gaule in Paris und knipse ganz arglos Flughafenmauern, werde aber nach dem dritten Foto von einer Gruppe Soldaten gebeten das Fotografieren einzustellen. Und das ist auch gut so, denn sonst wäre ich nicht schon zweieinhalb Stunden vor Abflug an der Ausreisekontrolle gewesen. Ich muss weit in die Check-In-Halle zurück laufen, um den Anfang der Schlange zu finden. Nach ca. einer Stunde Wartezeit, bin ich in der Schlange so weit vorgerückt, dass ich die Schalter der Grenzkontrolle von ganz weitem sehen kann. Es sind bestimmt 30 Schalter, fast alle mit roter "closed" Leuchtschrift. Ich zähle 5 grüne "open" Schilder. Ich bin mir recht sicher, dass die verbleibenden 1,5 Stunden bis zu meinem Abflug nicht reichen werden. Alle anderen Fluggäste haben sichtlich ähnliche Gedanken und es ist ein sehr unweihnachtliches Gedränge, Geschiebe, Geschimpfe und manchmal auch Geschreie. Als ich eine halbe Stunde nach meiner Abflugszeit kurz vor dem Grenzbeamten bin, werden plötzlich alle Schalter geschlossen. 30 rote Leuchtwörter "closed" und eine Halle voller ungeduldiger Menschen, ist keine gute Mischung. Zum Glück öffnen ein paar Schalter wieder, bevor die Stimmung ganz kippt. Mit einer knappen Stunde Verspätung heben wir ab in Richtung Mumbai und ich lerne Vinita aus Atlanta kennen, die ihre Schwester in Mumbai besucht. Sie leitet eine Schule in den Vereinigten Staaten und wir unterhalten uns prächtig.
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